Ein Vorhaben im Rahmen der „Straniak Initiatives“, gefördert von der Hermann und Marianne Straniak Stiftung.


Projekt: Eine Alternative zur ‚Festung Europa‘

Das Projekt bezieht sich auf das gegenwärtige EU-Grenzregime im Mittelmeerraum, das nicht nur exterritorialisiert und durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex, internationale Organisationen und Drittstaaten umgesetzt, sondern auch polizeilich-militärisch verschärft wurde und dem daher die Bezeichnung „Festung Europa“ zugeschrieben wird. Mit der Ex-Territorialisierung entstanden Grauzonen des Rechts, in denen es an einer eindeutigen Zuordnung der rechtlichen Verantwortlichkeiten für den polizeilich-militärischen Einsatz im Mittelmeerraum mangelt, und Flüchtlinge nicht oder nur mangelhaft vor Menschenrechtsverletzungen geschützt sind. Statistiken und Untersuchungen lassen auch erkennen, dass die von der EU gewählte Methode, illegale Grenzübertritte zu verhindern, nicht den von ihr gewünschten Erfolg erzielt, was auch aus dieser Sicht die Frage nach der Mittel-Zweck-Relation dieses Grenzregimes und alternativen menschenrechtskonformen Lösungsmodellen aufwirft.

Laut den von Frontex veröffentlichten Zahlen steigt desen Budget seit 2015 jährlich. Von 142 Millionen Euro im Jahr 2015 stieg es bis auf 460 Millionen Euro im Jahr 2020. Für den Zeitraum 2021-2027 sollen die Haushaltsmittel für Frontex auf 11 Milliarden Euro aufgestockt werden, hauptsächlich für Personal und dessen Ausrüstung. Weiters werden die Kosten für geplante flächendeckende Satelliten-, Drohnen-Überwachungs- und Suchsysteme auf rund 2 Mrd. Euro geschätzt.

Der Großteil der nach Europa flüchtenden oder migrierenden Menschen kommt aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Nordafrika und der Sahelzone. Sozioökonomische Schätzungen nehmen an, dass in den nächsten 10-20 Jahren bis zu 20 Millionen Menschen aus dem Norden Afrikas nach Europa kommen. Die hohe Mobilitätsrate hat diesen Staaten zwar einen Zufluss an Finanzkapital gebracht, da Geldüberweisungen aus Europa einen nicht unwesentlichen Beitrag zu deren Wirtschaftsaufkommen leisten. Dennoch hat sich die politische, soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in den meisten afrikanischen Staaten bisher nicht wesentlich geändert. Flucht und Migration erscheint vielen Menschen als letzte Möglichkeit, Armut und Verfolgung zu entkommen.

Als möglicher alternativer Zugang zur Lösung des Problems wurde bereits von zahlreichen Expert*innen vorgeschlagen, den Fokus nicht auf das in die afrikanischen Staaten eingebrachte Finanzkapital, sondern auf das vorhandene Humankapital zu legen. Diesbezügliche Impulse gibt beispielsweise das Programm „Migration for Development in Africa“ (MIDA), das sich mit der Frage beschäftigt, wie sich im Zuge von Migration der Transfer von Geld, Wissen, Fähigkeiten und Ideen auf die afrikanischen Herkunftsländer auswirkt. Das Ziel diesbezüglicher Forschung sollte nicht eine Abschottung Europas und das Verhindern jeglicher Migration sein, sondern das Erkennen und Erforschen von Potentialen, die zu einem fruchtbaren Austausch von Ressourcen und Arbeitskräften zwischen EU- und anderen Staaten führen können.

Projektziele

Im Zuge des Projekts sollen unter Beiziehung entsprechender ökonomischer, fiskalischer und kultureller Expertise alternative Ideen und Strategien entwickelt werden, wie unter Umschichtung von für die Grenzsicherung zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln der EU Alternativen zur Flucht und Migration nach Europa entwickelt werden könnten, die den betroffenen Menschen in den an das Mittelmeer grenzenden Staaten existentielle Zukunftsperspektiven bieten. Dies könnte etwa dadurch erreicht werden, dass Flüchtlinge und Migrant*innen an den Land- und Seegrenzen nicht bloß abgefangen und zurückgeschoben ihrem Schicksal überlassen oder in Anhaltezentren verwahrt werden, sondern ein ganz anderes „Auffangen“ erfolgt, das ihnen statt einer gefahrvollen Überfahrt nach Europa und einer unsicheren Zukunft menschenrechtliche und soziale Sicherheit unter gleichzeitiger Abwicklung asyl- und aufenthalts-rechtlicher Verfahren (siehe das unten beschriebene Projekt „Temporary Protection“) sowie Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort eröffnet. Von der EU mitfinanzierte wirtschaftliche Kooperativen wären auch für die aufnehmenden Staaten und die jeweilige Bevölkerung vor Ort mit ökonomischen Vorteilen verbunden. Damit entstünde für diese Staaten, die EU und die betroffenen Menschen eine „Win-Win-Win-Situation“, in der flüchtlings- und menschenrechtliche Standards eingehalten werden könnten. Kooperationsmöglichkeiten könnten etwa im Bereich der Agrarwirtschaft oder der Solarenergie liegen, wie etwa ein Großprojekt der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Marokko zeigt. 


Projekt: Temporary Protection

Angesichts von Millionen von Menschen, die in den letzten zehn Jahren in die EU geflüchtet sind und Asylanträge gestellt haben, weiterer zu erwartender hoher Zahlen an Flüchtlingen und Migrant*innen, die aus vielen Teilen der Welt nach Europa streben, ist von einem weiteren massiven Druck auf das „Gemeinsame Europäische Asylsystem – GEAS“ und die meisten nationalen Asylsysteme auszugehen, weil diese für Flucht und Migration so vieler Menschen weder konzipiert noch geeignet sind.

Die Folgen sind Versuche, Europas Grenzen und das Mittelmeer „dicht“ zu machen, aber auch Uneinigkeit, Unentschlossenheit und mangelnde Solidarität der EU-Mitgliedstaaten, wie die Situation politisch, rechtlich und ökonomisch bewältigt werden kann, wie etwa der Fall des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos zeigt. Aus diesen Gründen schlägt der Europäische Rat aktuell eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vor, die auf einem von der Europäische Kommission am 23. September 2020 vorgelegten neuen Migrations- und Asylpaket beruht.

Völlig unverständlich ist, dass in der Debatte ein geltendes EU-Rechtsinstrument ausgeblendet wird, das für die Bewältigung von Massenflucht eigens geschaffen wurde und ein relativ einfaches und rasch greifendes rechtliches Fundament bietet, Flüchtlinge auf Zeit aufzunehmen: die „Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen“, die in der Folge ethnischer Vertreibungen aus Ex-Jugoslawien geschaffen wurde. Nicht einmal 2015, als Millionen Menschen aus Syrien nach Europa flüchteten, haben offenbar EU-Kommission und Europäischer Rat diese Richtlinie in ihre Überlegungen mit einbezogen.

Diese Richtlinie ist für Fälle gedacht, in denen eine hohe Anzahl an Menschen aus einem Gebiet flüchtet, vertrieben oder evakuiert wird, in dem „ein bewaffneter Konflikt oder dauernde Gewalt herrscht“ oder die Betroffenen „ernsthaft von systematischen oder weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen bedroht waren oder Opfer solcher geworden sind“, und deshalb nicht sicher und dauerhaft zurückkehren können. Sie werden nicht als „Flüchtlinge“, sondern als „Vertriebene“ bezeichnet und brauchen ihre Herkunft vorerst nur glaubhaft machen. Das Instrument gewährt für maximal drei Jahre eine sofortige, aber eben vorübergehende kollektive Aufnahme insbesondere dann, wenn die Gefahr besteht, „dass das Asylsystem diesen Zustrom nicht ohne Beeinträchtigung seiner Funktionsweise und ohne Nachteile für die um Schutz nachsuchende Personen auffangen kann“. Diese Vorgangsweise wäre durch Art 9 Genfer Flüchtlingskonvention (Vorläufige Maßnahmen) gedeckt. Erforderlich wäre ein Beschluss des EU-Rates mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der EU-Kommission. Jeder EU-Staat kann den Antrag stellen, dass die Kommission dem Rat einen solchen Vorschlag unterbreitet.

Aufgrund der hohen Flexibilität, die die Richtlinie eröffnet, hätten die EU und ihre Mitgliedstaaten Zeit, eine Repatriierung der Flüchtlinge vorzubereiten, die dann erfolgen kann, wenn sich die Situation in ihrem Herkunftsstaat stabilisiert (was ein Anreiz sein könnte, sich intensiv an Lösungen zu beteiligen). Oder einen Plan B auszuarbeiten, falls eine Rückführung nicht erfolgen kann, wenn nach der Richtinie „zwingende humanitäre Gründe vorliegen, die die Rückkehr in besonderen Fällen als unmöglich oder unzumutbar erscheinen lassen“, was mit dem subsidiären Schutz für abgelehnte Asylsuchende etwa vergleichbar wäre.

Vermutlich haben die meisten Vertriebenen keinen Anspruch auf Asyl, weil sie nicht individuell verfolgt werden, sondern vor einem kriegerischen Konflikt flüchten, in dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen werden. Viele von ihnen werden bereit sein, in ihr Land zurückzukehren, wenn sich die Sicherheitslage bessert und ein Wiederaufbau des Landes möglich ist. Als Vertriebene haben sie das Recht, bis zu einer sicheren Repatriierung in Europa zu bleiben sowie Schutz und Versorgung zu erhalten. Die Staaten könnten diesbezüglich klare Signale aussenden, entsprechende Informationen bereitstellen sowie für die Dauer der Aufnahme Ausbildungs-, Beschäftigungs- und Betreuungsprogramme ausarbeiten, die die Betroffenen auf ihre Rückkehr so vorbereiten, dass sie am Wiederaufbau und und allfälligen Versöhnungsprozessen konstruktiv mitwirken können.

Nach der Richtlinie 2001/55/EG ist es zwar nicht möglich, Flüchtlinge außerhalb der Außengrenzen der EU aufzunehmen. Aber Art 5 Abs 4 lit b der Richtlinie sieht vor, dass – bevor der Rat das Vorliegen eines Massenzustroms von Vertriebenen durch Beschluss feststellt – die „Zweckmäßigkeit der Einleitung des vorübergehenden Schutzes unter Berücksichtigung der Möglichkeiten zur Gewährung von Soforthilfe und für vor Ort zu treffende Maßnahmen oder der Unzulänglichkeit solcher Maßnahmen“ zu prüfen und zu bewerten ist.

Projektziele

Im Projekt „Eine Alternative zur ‚Festung Europa'“ (siehe oben) wird vorgeschlagen, alternative Ideen und Strategien zu entwickeln, wie unter Umschichtung von für die Grenzsicherung zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln der EU Alternativen zur Flucht und Migration nach Europa entwickelt werden könnten, die den betroffenen Menschen in den an das Mittelmeer grenzenden Staaten existentielle Zukunftsperspektiven bieten. Insoweit wäre es naheliegend, die Massenzustrom-Richtlinie dahingehend zu ergänzen, dass Kriegsflüchtlinge auch außerhalb der EU in Ausbildungs- und Wirtschaftskooperativen aufgenommen werden können. Schon vor Erlassung der Massenzustrom-Richtlinie erfolgte die Aufnahme und Versorgung vor der Verfolgung durch das serbische Milošević-Regime geflüchteter Kosovo-Albaner in Mazedonien, also außerhalb der EU. Ein diesbezüglicher Novellierungsvorschlag zur Richtlinie könnte im Zuge dieses Projekts entwickelt und EU-weit zur Diskussion gestellt werden.

Wenn, wie vorgeschlagen, Ausbildungs- und Wirtschaftskooperativen oder sonstige humanitäre Auffangzentren außerhalb der EU geschaffen werden, könnten in diesen auch Behörden eingerichtet werden, die über Asylanträge aufgenommener Kriegsflüchtlinge entscheiden könnten, ob diese im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (auch) individuell politisch verfolgt wurden und werden. Dabei könnte in Kooperation mit den Asylbehörden des Aufenthaltsstaats geprüft werden, ob die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl auch im Aufenthaltsstaat vorliegen oder nach einem zu vereinbarenden Schlüssel Asyl in einem EU-Mitgliedsstaat gewährt wird. Ebenso eröffnet sich bei einem derartigen Modell die Möglichkeit, in den Ausbildungs- und Wirtschaftskooperativen Ämter einzurichten, die auch Anträge auf Visaerteilung und Arbeitsgenehmigung in EU-Staaten behandeln.